Eine Ausstellungstrilogie kuratiert von Lorenzo Graf
Zishi Han 23.10.21 — 22.1.22
Gabriele Rendina Cattani 19.2. — 22.5.22
Alice Morey 11.6. — 18.9.22
One Thing Left to Try ist eine Abfolge von drei Einzelausstellungen der Künstler*innen Zishi Han (23.10.21-22.1.22), Gabriele Rendina Cattani (19.2.-22.5.22) und Alice Morey (11.6.-18.9.22) in der MEWO Kunsthalle in Memmingen. Das von Lorenzo Graf kuratierte Projekt setzt sich mit den Erfahrungen von Überwältigung und Ohnmacht auseinander.
Stark, selbstbestimmt, belastbar und, vor allem, unternehmerisch sollen die Subjekte des Globalen Nordens handeln. Das liberale Narrativ eines handelnden Individuums schreibt den Subjekten das Potential zu, nicht nur erfolgreich auf die Welt einwirken, sondern über ihr stehen zu können. Dies vermeintliche Potential geht einher mit enormem gesellschaftlichem Druck, diese Anforderungen auch erfüllen zu müssen. Den Prozess bezeichnet der Philosoph und Soziologe Maurizio Lazzarato als „Hypersubjektivierung".
Gleichzeitig wirken im spätkapitalistischen System spaltende Kräfte auf jedes Subjekt ein, die von Lazzarato „Desubjektivierung" genannt werden. Die Vermarktungsmaschinerien mit ihren Algorithmen teilen die Subjekte in Informationskategorien auf, deren Datensätze von Unternehmen genutzt werden, um daraus Kapital zu schlagen. Subjekte werden zu Komponenten einer Maschinerie, die sie zwar betrifft und benutzt, die sich aber ihrem Verständnis entzieht. Die Entfremdung entsteht dadurch, dass die extrahierten Daten nicht an den Subjekten ausgerichtet und somit von ihnen selbst nicht lesbar sind.
Die Diskrepanz zwischen den Prozessen der Hyper- und Desubjektivierung führt zu Unmut und Ohnmachtsgefühlen. Subjekte sind davon überwältigt, in einer Welt handeln zu müssen, in der ihr Handlungsraum extrem begrenzt ist. Dieser Zustand der Überwältigung hat oftmals pathologische Folgen, die sich im ständigen Anstieg der Betroffenenzahlen der Volkskrankheit Depression widerspiegeln. Die medizinische und pharmakologische Rehabilitierung des gebrochenen Subjekts geschieht dann nicht allein im Sinne der Aufrechterhaltung des Narrativs vom starken Ich, sondern auch im Interesse des Marktes, der für seine Transaktionen auf scheinbar entscheidungsfähige Subjekte, die Konsument*innen, angewiesen ist.
An der Stelle der Rehabilitierung setzt das Projekt One Thing Left to Try an, um diesen immerwährenden Kreislauf zu unterbrechen. Während sich die Genesung des pathologisierten Subjekts auf die Ansicht stützt, dass die negativen Folgen der Überwältigung zu minimieren und zu beseitigen seien, möchte das Projekt die Nebeneffekte akzentuieren. Das Subjekt soll sich nicht stark und als Ganzes wiederherstellen, um erneut gebrochen zu werden, sondern in der eigenen Zersplitterung verweilen. Dies kann geschehen, wenn eine Intimität zur Überförderung gesucht, ertastet und gespürt wird. Mittels künstlerischer Interventionen der beteiligten Künstler*innen werden bewusst Situationen geschaffen, in denen Zustände der Überförderung zugelassen, durchlebt und nicht als ein zu beseitigendes Hindernis betrachtet werden.
Es gilt, den Überförderungszustand als Aufenthaltsort zu beanspruchen.
Zishi Han (geboren 1990 in Peking) lebt in Frankfurt am Main und studiert an der Städelschule. Zuvor studierte er am Royal College of Art in London.
Gabriele Rendina Cattani (geboren 1990 in Rom) lebt in Frankfurt am Main und studiert an der Städelschule. Er studierte Komposition am L'Istituto di Ricerca Musicale in Mailand und Musik und Bildende Kunst an der École Nationale Supérieure des Arts Decoratifs in Paris.
Alice Morey (geboren 1986 in London) lebt und arbeitet in Berlin und London. Sie hat Malerei an der University of Brighton und Bildende Kunst am Chelsea College of Arts studiert.
Lorenzo Graf (geboren 1995 in Grosseto) lebt in Frankfurt am Main, ist freier Kurator und als kuratorischer Assistent am Museum für Moderne Kunst tätig. Er studiert Curatorial Studies an der Goethe-Universität und der Städelschule.