Ausstellung

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Gabbi Cattani: Chaoskampf Tutorials

5.3.2022 — 15.5.2022

Künstlergespräch 5.3.2022, 16.30 Uhr – Gabbi Cattani im Gespräch mit Lorenzo Graf im Atelier der MEWO Kunsthalle.

auf einem schwarzen Bildschirm läuft ein deutscher Text

Gabbi Cattani, Chaoskampf Tutorials, Zweikanalvideo, gedreht mit Coolpix L5, 2021-2022, Videostill

ein Bild aus einem Videofilm mit zwei maskierten Personen, die eine Hundeskulptur halten

Gabbi Cattani, Holdin the dog (d’aprés Edward Kienholz), Einkanalvideo, gedreht mit Coolpix L5, 2021, Videostill

Nahaufnahme einer Hand mit einem verletzten Finger

Gabbi Cattani, Untitled, 2021 (Production image). Image courtesy the artist

Für seine erste institutionelle Einzelausstellung hat Gabbi Cattani zwei Videoarbeiten geschaffen, die er ausgehend von seiner Performance bei der Biennale Mediterranea in San Marino 2019 entwickelt hat.
Chaoskampf Tutorials, 2021–2022 (links im Raum) besteht aus zwei Wandprojektionen eines Erzähltextes – jeweils auf Deutsch und Englisch –, vorgelesen von einer Off-Stimme. Die projizierten Bilder erscheinen verpixelt, teilweise unscharf, als hätten sie ihren verlorenen Ursprung irgendwo zwischen früher Digitaltechnologie und gefundenem, minderwertigem Filmmaterial. Jedoch handelt es sich um nachgestelltes Archivmaterial, eine Fiktion. Für die Produktion projizierte Cattani den von ihm verfassten Text an die Wand und filmte ihn mit einer der ersten digitalen Kompaktkameras ab: Wir sehen also den Film eines Films, die Projektion einer Projektion. Durch diese Übertragung öffnet sich ein Zwischenraum für unerwartete Neubedeutungen. Der medial erzeugte Schwellenzustand legt die Grundlage für den rituellen Übergang, zu dem die Besuchenden durch die Erzählung angeleitet werden. In seinem überbordenen Fluss aus Beschreibungen, Exkursen, Zitaten und poetischen Freiheiten beschreibt der Text eine Transition nicht zum Erwachsen-Werden, sondern zum Unmündig-Bleiben. Selbstbestimmung und ökonomische Autonomie sind trügerisch — sie ersetzen die eine Abhängigkeit (die familiäre) mit einer anderen (der gesellschaftlichen). Deshalb soll die mythologische und psychoanalytische Figur des „puer aeternus“ („ewigen Jünglings“) angenommen werden, die in dem Zwischenzustand einer unmöglichen Loslösung vom Familiennest verbleibt. Paradoxerweise wäre völlige Freiheit nur durch die Akzeptanz eines steten Fremdbestimmtseins zu erlangen. So steht im Zentrum des ersten Teils ein Glückspiel, bei dem Erbschaften verlost werden und im zweiten das Motiv des Hundes als Resteverwerter: Beides sind Daseinsmodelle in völliger Abhängigkeit von anderen.
Auch in Holdin’ the dog (d’aprés Edward Kienholz), 2021 (rechts im Raum) kommt die Nikon Coolpix L5, Cattanis geliebte Kompaktkamera, wieder zum Einsatz. Bei dieser Arbeit stehen zwei Männer in ungewöhnlicher Pose im Fokus. In häuslicher Umgebung, mit selbstgebastelten Masken und Requisiten halten beide zusammen eine umgedrehte Hundestatue fest. Sie stellen eine Skulpturengruppe des US-amerikanischen Künstlers Edward Kienholz (1927-1994) nach, der für seine sozialkritischen tableaux bekannt wurde. Kienholz‘ gleichnamiges Werk von 1986, das Cattani reinszeniert hat, thematisiert die tief verankerte Präsenz von religiösen und politischen Ideologien in der Psychologie US-amerikanischer Familien. In Cattanis Adaption fallen zwei Aspekte auf: Er tauscht die amerikanischen Flaggen mit italienischen aus, um einen Bezug zu seinem Herkunftsland zu schaffen. Zudem weist die Hundestatue eine Verbindung zum Werk Chaoskampf Tutorials auf, in dem das Motiv des Hundes als Resteverwerter vorkommt. Ideologische Beeinflussung und Leben in Abhängigkeit fügen sich so zu einem anspielungsreichen und vielfach interpretierbaren Bild zusammen. Durch seine Ambivalenz löst das überdimensional projizierte Bild Unbehagen aus.

Gabbi Cattani (geboren 1990 in Rom) lebt in Frankfurt am Main und studiert an der Städelschule.
Die Ausstellung bildet den zweiten Teil des von Lorenzo Graf kuratierten Ausstellungsprojekts One Thing Left to Try.

Pressetext (PDF) →

One Thing Left to Try

Eine Ausstellungstrilogie kuratiert von Lorenzo Graf:
Zishi Han 23.10.21 — 23.1.22
Gabbi Cattani 5.3. — 15.5.22
Alice Morey 4.6. — 18.9.22

in einem dunklen Raum laufen zwei Videoprojektionen mit Text nebeneinander

Gabbi Cattani, Chaoskampf Tutorials, 2021-2022 (Installationsansicht), Foto: Sebastian Bühler

in einem dunklen Raum laufen zwei Videoprojektionen mit Text nebeneinander

Gabbi Cattani, Chaoskampf Tutorials, 2021-2022 (Installationsansicht), Foto: Sebastian Bühler

auf einem schwarzen Bildschirm läuft ein englischsprachiger Text

Gabbi Cattani, Chaoskampf Tutorials, Zweikanalvideo, gedreht mit Coolpix L5, 2021-2022, Videostill

Blick durch einen dunklen Raum auf eine wandfüllende Videoprojektion

Gabbi Cattani, Holdin' the dog (d'aprés Edward Kienholz), 2021 (Installationsansicht), Foto: Sebastian Bühler